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Maschinenbau, Trocknungstechnik, lufttechnische Geräte
Zusammengestellt von Konrad Lipphardt, Bad Hersfeld im Jahre 2009; seither ständig ergänzt
Die Industrielle Revolution erfasste im letzten Drittel des 19ten Jahrhunderts ganz Deutschland und hinterließ auch bei den Hersfelder Gewerbetreibenden ihre Spuren. In wenigen Jahren entwickelte sich Hersfeld, damals hieß die Stadt noch nicht `Bad Hersfeld´, von einer bäuerlich geprägten Kleinstadt mit seinen produzierenden Gewerbetreibenden und dem Handel zu einem der bedeutendsten Industriestandorte im Bezirk Cassel (Kassel). In dieser Zeit des Umbruchs und des Fortschritts hatte der spätere Maschinenfabrikant Benno Schilde im Jahre 1873 den ersten Kontakt mit Hersfeld. Er trug mit der Gründung und dem Aufbau seiner Maschinenfabrik erheblich dazu bei, dass sich die Region Hersfeld an die industrielle Lebenswelt anschließen konnte. Benno Schilde erreichte durch sein Streben nach schweren Anfangsjahren den Aufstieg zum Fabrikanten. Seine Persönlichkeit war geprägt von handwerklichem Können, innovativer Denkweise und Erfindungsgabe. Sein wirtschaftlicher Weitblick erkannte die Perspektive für die Spezialisierung auf Ventilatoren und Trockner. Die hergestellten Produkte zählten funktional und qualitativ zu den Spitzenerzeugnissen der Branche. Er schaffte damit die Grundlage für den Erfolg des weltweit operierenden Unternehmens.
Bild 1: Benno Schilde, Gründer der Firma, geb. 06. Apr. 1849
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Benno Schilde entwickelte aus kleinen Anfängen eines der größten Unternehmen in Bad Hersfeld. Er wurde am 6. April 1849 in Rochlitz in Sachsen geboren. Schon während seiner Schulzeit in Chemnitz faszinierte ihn alles Technische und vor allem die damals als technisches Wunder und unerhörter Fortschritt in Erscheinung tretende Eisenbahn. Benno Schilde wollte Lokomotivführer werden und erlernte als erste Stufe zu diesem Ziel das Schlosserhandwerk. Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 musste Schilde als Soldat dienen, anschließend ging er zurück nach Chemnitz, wo er als Maschinenschlosser in der Werkzeugmaschinenfabrik Union arbeitete. Als Monteur dieser Firma kam Benno Schilde im Jahr 1873 nach Hersfeld, um in der Maschinenfabrik Gottlieb/Schramm & Dill eine Dampfmaschine aufzustellen. Das alte Städtchen, so schreibt seine Tochter Emma Mann, gefiel ihm ausnehmend gut, auch die schöne, waldreiche Umgebung. Vor allem aber hatte es ihm die Hersfelderin Wilhelmine Demme angetan, die er 1874 heiratete. Benno Schilde fasste den Entschluss, sich mit seinem Erbteil von 800 Talern - der Vater war kurz zuvor verstorben - in Hersfeld selbständig zu machen und meldete ein Gewerbe als Maschinenbauer an. In der Maschinenwerkstätte von Wilhelm Gottlieb reparierte, ergänzte, verbesserte und fertigte Benno Schilde neu an, was von Gewerbetreibenden und Bürgern nachgefragt wurde. Mehrfach zog Schilde mit seinem Unternehmen um, hatte mal weniger, meistens aber mehr Erfolg und erwarb 1885 Land vor der Stadtmauer, Hinterm Flehmen (später August Gottlieb Straße), wo er seine eigene Fabrik und ein Wohnhaus für die Familie baute. Hier erweiterte er seine Produktpalette um Exhaustoren, Ventilatoren, Lufterhitzer und Wassermesser für Dampfmaschinen. Der erste Trockner, ein Hordentrockner für lose Wolle und Garnspulen, entstand. Hauptkunde war jedoch viele Jahre lang August Gottlieb mit seiner Seilerei, dessen treuer Freund und Helfer er war. Ihm lieferte er die erste Maschine, eine Zwirnmaschine. Mit der Konstruktion von Exhaustoren und Ventilatoren aus Stahlblech statt aus Gußeisen gelang Benno Schilde ein bahnbrechender Fortschritt und verschaffte seiner Firma Weltruf. Eine besondere Spezialität der Firma Schilde wurden die Trockenapparate, die zunächst für die heimischen Tuchfabriken erfunden und gebaut wurden. Sie fanden aber sehr bald auch in anderen Industrien überall im Deutschen Reich und darüber hinaus Eingang. Drei Jahre später, im Jahre 1888, wurde die erste Dampfmaschine mit 14 PS installiert. Immer noch war Benno Schilde sein eigener Betriebsleiter, Erfinder, Konstrukteur, Kalkulator und Buchhalter. Die stetige Vergrößerung des Unternehmens zwang ihn jedoch, diese Arbeiten auf Angestellte zu übertragen. Bis zur Jahrhundertwende stieg die Zahl der Mitarbeiter auf 70. Im Jahre 1904 waren es bereits 170. In diesem Jahr wurde ein dreistöckiger Fabrikbau errichtet.
Bild 2: Werkshalle
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Mit dem Bau der schon erwähnten Trocknungsanlagen kam es zu einem beschleunigten Aufschwung der Fabrik. In einer Preisliste aus dem Jahre 1904 wird auf Trockner zur Herstellung von Dörrgemüse, Malz und andere Produkte hingewiesen. Weiterhin wurden Kohle- (Schlacken-)Separatoren, Befeuchtungsmaschinenfür Garnspulen, Kammer- und Durchlauftrockner für Stranggarn, Hängetrockner für textile Gewebe, Trockner (Trommeln) für körnige Güter und Durchlaufhängetrockner für Pappen.
Bild 3: Erweiterung bis an die Dippelstraße
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1908 wurde die Geis überbaut, es entstand ein weiteres dreistöckiges Werkstatt- und Bürogebäude und der 1904 errichtete Fabrikbau wurde bis zur Dippelstraße verlängert. Die Anzahl der Mitarbeiter war auf 262 angestiegen.
Bild 4: Benno Schilde, Maschinenfabrikant Die Aufnahme entstammt dem Archiv des Arbeitskreises Firmengeschichte Benno Schilde / Babcock - BSH. Wann die Aufnahme entstand, ist unbekannt, wie der Arbeitskreis mitteilt. Es könnte sein, dass sie um 1900 aus einem besonderen Anlass gemacht wurde, etwa zu seinem 50. Geburtstag, der gleichzeitig mit dem 25jährigen Bestehen seiner Fabrik zusammen fiel. Das wäre dann im Jahre 1899 gewesen.
Großes Interesse hatte Benno Schilde an der Kommunalpolitik und wirkte in Magistrat und Kreistag. Am 22. Oktober 1911 starb Benno Schilder, 62 Jahre alt, an einem inneren Leiden. Er hinterließ ein Unternehmen, das sich unter der Fühung seines Sohnes Paul zunächst als Familien GmbH, später dann als Aktiengesellschaft, zum größten Arbeitgeber in Bad Hersfeld entwickelte.
Bild 5: Grabstein Benno Schildes
Die "Schilde AG" in Bad Hersfeld war ein Unternehmen zur Herstellung von luft- und wärmetechnischen Erzeugnissen wie Ventilatoren, Lufterhitzer und Trocknungsanlagen für alle Zwecke und Materialien sowie kompletten Produktionsanlagen im Holz- und Baustoffbereich. Das Unternehmen entwickelte die industrielle Trocknung in Deutschland und wurde im Laufe der Jahrzehnte ein führender Hersteller auf dem Gebiet der Trocknungstechnik. 1938 erreichte die Schilde AG einen Umsatz von 11 Millionen Reichsmark, hatte 1200 Mitarbeiter und ein Aktienkapital von 2,8 Millionen Reichsmark. Mehrheitsaktionär ist Fritz Rechberg, die qualifizierte Aktienminderheit hielt Ernst Hagmeier. Während des Krieges blieben die Produktionsstätten unbeschadet, so dass 1951 bereits der Vorkriegsumsatz mit gleichem Beschäftigungsstand erreicht werden konnte. Vier Jahre vor der Übernahme durch die Degussa im Jahre 1964 erwirtschaftete die Aktiengesellschaft einen Umsatz von 51Millionen DM bei einem Aktienstammkapital von 7 Millionen DM und 1600 Mitarbeitern. Die Name des Unternehmens änderte sich abermals, die
Firmierung lautete fortan "Schilde, Aktiengesellschaft, Bad Hersfeld". Ein Jahr später wurden drei Leichtbau- und eine Schwermontagehalle in Betrieb genommen. Die Serienfertigung lufttechnischer Geräte erfolgte in einem besonderen Werk. 1968 kaufte die Schilde AG die Tromag, Trockenapparate- und Maschinenbau GmbH, Bebra, auf. 1932 war diese Firma von Ingenieuren gegründet worden . 1957 besaß sie ein Bürogebäude und drei große Werkshallen, die mit modernsten Maschinen ausgestattet waren. Sie hatte 350 Betriebsangehörige. Die Mitarbeiterzahl wuchs daraufhin auf 1850. Mit Wirkung vom 8. Januar 1970 endete die 95-jährige Firmengeschichte der Schilde AG durch die Verschmelzung mit den Büttner-Werken, Krefeld-Uerdingen, zur Büttner-Schilde-Haas Aktiengesellschaft, später Babcock-BSH. Die Aktienmehrheit hielt die Deutsche Babcock & Wilcox AG, Oberhausen. 1977 wurde der Firmenname in "Babcock-BSH AG" umgewandelt. Im Oktober 2002 übernahm die Grenzebach Maschinenbau GmbH, Asbach-Bäumenheim, die Babcock-BSH GmbH in Bad Hersfeld aus der Insolvenzmasse der Babcock-Borsig AG. Unter dem Namen Grenzebach BSH GmbH, mit rund 400 Mitarbeitern, wurde das Produktionsprogramm im Holz- und Baustoffsektor am Standort Bad Hersfeld weitergeführt. Die Firma hatte ihren Sitz noch teilweise in den Gebäuden, die großenteils noch von der Schilde AG stammen. Nach dem Umzug der Fa. Grenzebach in die Rudolf-Grenzebach-Str. 1 im Industriegebiet Hohe Luft übernahm die Stadt Bad Hersfeld deren Betriebsgelände und begann im Jahre 2011 damit, das ehemalige Industriegelände großzügig neu zu gestalten. Nach dem Abriss der Betriebsgebäude, die nicht denkmalsgeschützt waren, entstand eine Parkanlage, die den Namen Schilde-Park erhielt. Nach der Sanierung der erhaltenen Gebäude wurden in ihnen u. a. das Erlebnismuseum "wortreich" , das Restaurant "KONRADS" und eine Außenstelle der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) mit der Fachrichtung Logistikmanagement (Studium Plus) untergebracht. Eine ehemalige Industriehalle ist unter dem Namen "Schilde-Halle" ein weiterer Veranstaltungsort in Bad Hersfeld.
Bilder zum Schilde-Park von Osten nach Westen:
Bild 6: Freigelände mit freigelegtem Bachbett der Geis
Bild 7: Plaza
Bild 8: Plaza; im Hintergrund das Erlebnismuseum "wortreich".
Bild 9: Plaza; im Hintergrund das Erlebnismuseum "wortreich" und das Restaurant "KONRADS".
Bild 10: Plaza; das Restaurant "KONRADS".
Bild 11: Plaza mit Schildehalle (links) und der Außenstelle der Technischen Hochschule Mittelhessen (rechts) "
Bild 12: Schildehalle
Bild 13: Außenstelle der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM)
Quellen
1. „125 Jahre Benno Schilde“ / Babcock-BSH (1874 – 1999), Faltblatt des Arbeitskreises Firmengeschichte Benno Schilde / Babcock-BSH, August-Gottlieb-Straße 5, Bad Hersfeld.
2. Emma Mann: "Benno Schilde Leben und Werk", Mein Heimatland, Beilage zur Hersfelder Zeitung, 12. Band, 1936.
3. Wilhelm Neuhaus: "Geschichte von Hersfeld, Von den Anfängen bis zur Gegenwart", 2. Auflage, Hans Ott-Verlag, Bad Hersfeld
4. http://de.wikipedia.org/wiki/Schilde_AG
5. http://de.wikipedia.org/wiki/Babcock-BSH
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Konrad.Lipphardt@t-online.de
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